Im Rückblick auf unsere Rundreise sei mir noch eine kleine politisch-historische Einlassung erlaubt.
Heutzutage feiert man in Europa die offenen Grenzen und den freien Reiseverkehr, und das zu Recht. So neu ist diese Errungenschaft allerdings nicht. In grossen Teilen Mittel- und Südosteuropas gab es das schon vor gut 100 Jahren. Unsere Reisestationen Linz, Pressburg, Budapest, Kronstadt, Sarajevo, Trogir oder Triest, die heute in sieben verschiedenen Staaten liegen, gehörten damals alle zur Österreichisch-Ungarischen Monarchie.
Man darf wohl die Frage stellen, ob die Grenzziehungen nach dem Ersten Weltkrieg und die Schaffung von Nationalstaaten in sprachlich und kulturell seit jeher gemischten Gebieten wirklich gute Ideen waren. Gewiss war das Zusammenleben auch vorher nicht immer problemfrei verlaufen. Danach wurde es jedenfalls kaum besser. Zumindest nicht für jene, die eben noch gleichberechtigte Untertanen Seiner Majestät waren und sich plötzlich im zweitklassigen Rang einer nationalen Minderheit wiederfanden. Gönnerhaft eingeräumte «Minderheitenrechte» waren stets begleitet von lautstarker Propagierung der neuen Herrschaftsverhältnisse. Ein bemerkenswertes Beispiel stellen die unsäglichen Statuen der Kapitolinischen Wölfin, Romulus und Remus säugend, dar, die in den 1920er Jahren überall in Rumänien, vor allem in Städten mit grossen ethnischen Minderheiten, aufgestellt wurden, um die historischen Ansprüche der «römischen» Titularnation zu dokumentieren. Bis heute zieren sie unkommentiert zentrale Plätze in einst recht unrumänischen Städten wie Temeswar, Klausenburg oder Kronstadt.
Auf der anderen Seite ist die – manchmal leider nur ehemalige – ethnische Vielfalt in vielen Gegenden durchaus präsent, und sei es nur auf den mehrsprachig beschrifteten Ortsschildern. Leider sind auch diese bescheidenen Zeugnisse dem Wüten der anscheinend allgegenwärtigen Kleingeister ausgesetzt; mehr als einmal war der Ortsname in der Minderheitensprache überschmiert und unleserlich gemacht.
Besonders krass schlug uns diese Vorgestrigkeit in Bosnien-Herzegowina, genauer gesagt in der Republik Srpska, entgegen. Im Land standen Wahlen an, überall hingen Plakate. Mit meinen bescheidenen slawischen Sprachkenntnissen konnte ich mir einige Parolen zusammenreimen: ein nationalistisch-separatistischer Überbietungswettbewerb. Kein einziges Plakat in diesem Gebiet, das im Bosnienkrieg vielerorts «ethnisch gesäubert» worden war, bewarb ein gemeinsames Bosnien. Da war es eine regelrechte Wohltat, in Sarajevo anzukommen und das anscheinend zwanglose Mit- und Nebeneinander in dieser immer noch multiethnischen oder besser multireligiösen Stadt zu erleben. Eine fragile Harmonie.
Mir scheint, dass das nationale Getöse umso lauter ist, je weniger die Betreffenden sonst noch vorzuweisen haben. Man kann den Ärmsten nur wünschen, dass sie doch ihre Komplexe, die niemanden interessieren, überwinden und wieder zu einem friedlichen Zusammenleben mit ihren Nachbarn zurückfinden mögen. Auch ohne völkerumspannende Monarchie.