Ein Termin hat uns nach Giessen und zurück gebracht. Stundenlanges Fahren. Hin auf der Autobahn, schliesslich möchte man zu einem bestimmten Zeitpunkt ankommen, zurück auf der Landstrasse, mit einer Übernachtung in Marktheidenfeld. Die Hinfahrt erfolgt unter grauem Himmel und Regen, monoton, entlang der grauen Strasse. Abwechslung bringt Musik, passend zu dem verregneten Herbstwetter Klänge von Eleni Karaindrou, The Weeping Meadow. Die Klänge entführen mich, sie nehmen mich mit in das Gewesene, das vor etlichen Jahren Erlebte.
Ich meine die auf der Insel Karpathos im Dorf Olymbos verbrachte Zeit. Einundzwanzig Tage im April. Ich bin der einzige ausländische Gast in dem Bergdorf. Wiederholt werde ich ungläubig gefragt, ob ich wirklich vorhabe, drei Wochen dort zu verbringen. Ja, drei Wochen. Es wird eine besondere Zeit, nahe an der Illusion, etwas Authentisches zu erleben. Etliche Stunden verbringe ich in dem Kaffeehaus von Archondoula und Filippas, viele Stunden widme ich dem Wandern. Immer wieder verbringe ich Zeit, sitzend vor einer einsamen Kapelle, wach, um dem Balzflug der Raben zuzuschauen, oder dösend. Ich habe so viel Zeit. Frauen in Tracht arbeiten auf dem Feld, Frauen in Tracht backen zu viert Brot im gemeinsamen Holzofen. Ich sitze dabei, verstehe die Gespräche nicht, besitze jedoch wie sie, Zeit, um auf das fertige Brot zu warten.
In Marktheidenfeld, auf einem morgendlichen Spaziergang, kehrt ebenfalls Vergangenes lebendig zurück. Der Brunnen mit dem Netzfischer, das griechische Restaurant, welches immer noch Thessaloniki heisst, der Anker an der Mainpromenade, sie alle bestätigen, dass man an diesem Ort gelebt hat. Adenauerplatz Nr. 6, unsere erste eigene Wohnung nach der Übersiedlung von Rumänien nach Deutschland. Diese Wohnung markiert das Angekommensein, vorbei die Odyssee Kaserne – Übergangsheim – Gasthaus für Aussiedler.
Wie schnell alles vergeht, oder wie langsam. Die Rückfahrt auf der Landstrasse beschert mir die schönsten Landschaftseindrücke. Hügel, noch grün, betörend bunte Laubbäume, leuchtend in der Sonne, Senken, Schafe wie weisse Tupfer. Ich frage mich, wie das geschieht, dass man nach zwei Arbeitstagen den Eindruck gewinnt, dass drei gerade erst vergangene Ferienwochen einem so weit weg, so sehr vergangen vorkommen. Was macht die Zeit des Alltags mit uns, mit unserer Erinnerung?