Auf nach Trient!

Zum Frühstück in Triest sitzt man im wohl ehemaligen Esszimmer dieser ehemaligen, grossen Stadtwohnung, welche nun unterteilt als Bed and Breakfast dient. Altes, knarrendes, in Muster gelegtes Parkett, Decke mit Stuck und Lüster. Auf den fünf runden Tischen stehen Kärtchen mit dem Namen des jeweiligen Zimmers, Ordnung muss sein. Das Schönste an diesem Zimmer jedoch ist das Licht. Es durchflutet den Raum durch vier grosse Fenster, zwei zum Meer hin, zwei Richtung Stadt, das Fensterglas ist alt, die Sicht wird leicht verzerrt. Die Kehrmaschinen sind unterwegs, die Boote liegen in voller Morgensonne. Trotz vieler selbstgemachter Leckereien hält sich unsere Verweildauer am Tisch in Grenzen. Die anderen Gäste sind alles Deutsche, und das hemmt unsere Unterhaltung, jeder kann jedes Wort hören und verstehen. Etwas zu wenig intim für unseren Geschmack.

Heute fahren wir nach Trient, unserer letzten Station auf dieser Reise, morgen nach Chur. Man neigt dazu, das Erlebte bereits jetzt erneut an sich vorbeiziehen zu lassen. Teils kommt es einem wie ein Traum vor, dass es gelungen ist, durch so viele Gegenden zu reisen, ohne Hindernisse, ohne unangenehme Zwischenfälle, sondern ganz im Gegenteil: so viele unterschiedlich schöne Eindrücke gewinnen zu können.

Blickt man zurück, erscheint der Besuch von Nussbach fast unwirklich. Als wäre man nur rein theoretisch hineinversetzt worden, um es zu sehen, und dann, wie in einem Computerspiel, wieder ausgestiegen. Genauso geht es mir mit Bratislava und Belgrad. Budapest und Sarajevo haben sich deutlicher eingeprägt. Es war eine vorbeischauende Reise. Für die nächste wünsche ich mir ein längeres Verweilen. Zur Ruhe kommen, den Rhythmus eines Ortes erfassen, dann erst weiterziehen.

Es macht mir sehr viel aus, ob ich eine oder drei Stunden im Kaffeehaus sitze. Einen Tag oder drei Tage in einer Stadt verweile. Wann wird die Stadt wach? Wann müde? Wann ist das Licht am schönsten? Haben es die Menschen eilig? Sie beobachten. Was trinken die meisten? Sitzen sie lange bei einem Kaffee? Mit diesen Gedanken tue ich dieser Reise Unrecht, denn ich möchte keinen Kilometer, keine Stunde missen. Weil uns die heutige Zeit solch eine Geschwindigkeit ermöglicht, muss man sich bewusst für die Langsamkeit entscheiden, sie neu entdecken.

Auf dem Weg nach Trient haben wir in Feltre eine Mittagspause eingelegt. Was ist dieser Stadt widerfahren? Die Altstadt, langgestreckt auf einem Bergrücken, besteht aus wundervollen, reichen Häusern aus der Renaissance, welchen die Zeit arg zugesetzt hat. Wo sind die Bewohner? Sind sie weg? Sind nur noch wenige da? Man hört Kindergeschrei. Ein Postbote klingelt an einer Tür. Es ist also noch Leben vorhanden. Manches wird gerade renoviert, hoffentlich bald alles. Es wäre eine sehr sehenswerte Stadt, gerne würde ich ein paar Tage hier bleiben. Feltre ist umgeben von grünen Bergen, Ausläufer der Dolomiten. An einer kleinen Piazza mit Brunnen ohne Wasser hat ein kleines Restaurant geöffnet. Selbstgemachte Tagliatelle mit Pilzen, Kaninchen mit Polenta, Rotwein, alles sehr lecker.

Die Fahrt geht weiter, durch Täler, zwischen hohen Bergen. Trient ist bald erreicht. Ein Spaziergang durch die Altstadt macht Lust auf einen zweiten, längeren Besuch. Soso, Trient, wunderbar. Einmal Eis essen in Italien, das machen wir und schlendern mit Zitronen- und Himbeereis durch die Strassen. Die Gehsteige sind meistens breit, mit kostbaren weiss-rosa Steinplatten ausgelegt. Die Cafés sind gut besucht, es gibt Häppchen zum Aperitif.

22. September 2022, Triest – Feltre – Trient