Es ist 20.48 Uhr und ich habe bereits das Pyjama an. Darüber einen Frottee-Bademantel, weiss, lang bis zum Boden, die Ärmel hängen wie Flügel an einem toten Vogel. Die Lichtschalter sind weit unten, für Zwerge geeignet. Die Wasserspülung befindet sich hoch über der Toilette, für Riesen gedacht. Der Spiegel im Bad hat blinde Flecken, für alle. Es ist ein Zimmer im Continental Forum in Oradea. Mit Blick auf die Kreisch und fussläufig zur Altstadt.
Morgens noch in Budapest gefrühstückt, abends in Oradea zu Abend gegessen. Was soll ich sagen? Was soll ich sagen?! Ich sage: die Welt ist riesig. Die Welt ist klitzeklein. Sie ist beides, und das muss man verkraften.
Die Landstrasse von Budapest hierher ist ein einziger Flickenteppich. Man holpert und poltert und kann sich somit sicher sein, dass man in die Richtung fährt, welche man ausgewählt hat. In den Dörfern unterwegs besteht die Möglichkeit, Unmengen an Zwiebeln und Melonen zu kaufen. Manchmal Auberginen und geflochtene Körbe. Auf jeden Fall Zwiebeln. An der Grenze zu Rumänien steht eine endlose LKW-Kolonne und wartet auf Abfertigung, glücklicherweise auf einer Extraspur. Wir müssen tatsächlich die Pässe vorzeigen, sie werden gescannt, und wir dürfen rüber.
Die junge Rezeptionistin im Continental Forum ist unterkühlt, ein Lächeln wäre vermutlich schmerzhaft. Ich wende meine Sprachkenntnisse an, um darauf hinzuweisen, dass auf dem E-Lade-Parkplatz zwei Autos stehen, welche nicht laden. Kein Problem: Eine Dame, des Sprechens nicht fähig, parkt ihr Auto um. Nach kurzen Anlaufschwierigkeiten funktioniert das Stromtanken. Alles wunderbar! Zimmer, Strom, los geht es in ein super schickes Terrassen-Restaurant an der Kreisch, auf einen Royal Bombay Gin und Bucovina-Mineralwasser. Die junge Dame am Empfang ist äusserst bemüht und sieht äusserst gut aus. Tolle Musik, super Einrichtung.
Dann in die Altstadt, zur Piața Unirii. Mit grossen Augen bestaunen wir die Gebäude, Brunnen, den Platz. Wir sind in Rumänien?! Zum Glück gibt es in den Seitengassen Häuser mit bröckelndem Putz. Man könnte sonst meinen, das Rumänien von gestern sei weg.
8. September 2022, Budapest – Grosswardein
