Schafe vor Le Mont-Saint-Michel

Suite Agatha, wunderschön, bis ins Detail geschmackvoll eingerichtet. Allerdings ohne Möglichkeit, die Sachen aus dem Koffer zu verstauen. Der Durchschnittsgast bleibt vielleicht ein Wochenende mit kleinem Gepäck.

Die letzten zwei Tage verschmelzen fast zu einem einzigen Tag voller Eindrücke, die man kaum noch auseinanderhalten kann.

Gestern, auf dem Weg von Chartres zum Mont-Saint-Michel, brauchte es mehrere Versuche, einen Laden zu finden, um ein Sandwich zu kaufen, fast hätte es Streit gegeben wegen lauter erfolgloser Versuche. Dann endlich, irgendwo das Ersehnte. Das Verspeisen der Mittagsspeise erfolgt auf einer Bank, im Schatten eines Baumes am Dorfplatz. Wir sind in bester Gesellschaft, auf der Nachbarbank machen es Franzosen ebenso. Unsere Nerven beruhigen sich, der Hunger auch.

21 km vor dem Ziel sehen wir das erste Mal die Umrisse des St-Michel; wir staunen, und die Spannung steigt: Wir sind bald dort, bei dem Wunder, das man aus Fernsehsendungen kennt. Die Landschaft während der Fahrt ist idyllisch. Wellig, voller Felder, kleiner Wälder und weisser Kühe.

Kurz vor «dem Berg» löst sich die Idylle nicht in Luft auf, nein, schlimmer: Sie nimmt die Gestalt von Parkplätzen an, Parkplätze von einer Ausdehnung, die mir bisher unbekannt war. Zig Plätze sind belegt, Menschenschlangen bewegen sich Richtung Mont. Entsetzen und Enttäuschung machen sich breit. So hatte man sich das nicht vorgestellt. Ende Mai und trotzdem so viele Menschen. Wir beschliessen, Tourist zu spielen, fügen uns in den tausendfüssigen Tausendfüssler ein und erreichen nach etwa 45 Minuten den heiligen Berg. Es ist beeindruckend! Die Bilder, welche der Fernseher vermittelt, werden an Grossartigkeit übertroffen. Staunen! Die Massen entweihen den Charme des Ortes, ihn jedoch einmal zu sehen, muss sein. Alles wirkt höher, mächtiger und kühner als erwartet.

Übernachtung mit Blick auf Saint-Michel. Davor verspeisen wir Lammkarree, das Tier stammt von den Salzwiesen und schmeckt köstlich. Eine Empfehlung des Gastgebers, ein Restaurant an einer Schnellstrasse mit einem Aussehen, das uns – als Nichtwissende – abgeschreckt hätte.

Frühstück und los! Wandernd nähern wir uns durch die Salzwiesen wieder dem Mont-Saint-Michel, bleiben jedoch in gewisser Entfernung, der Blick darauf ist bezaubernd. Schafe auf den Wiesen, Lerchen in grosser Zahl, Kaninchen, Wind, Wolken und Sonne. Und der Blick. Erkennbar die Menschen auf dem Steg, es werden immer mehr, heute gehören wir nicht zu der Menge.

Die Felder im Landesinneren rufen Kindheitserinnerungen wach: Getreide, das sich im Wind wiegt, Mohnblumen.

Auf der Fahrt nach Pleudihen wollen wir Cancale besuchen, soll sehr hübsch am Meer liegen. Aus der Ferne erkennt man tatsächlich die tolle Lage, das Wasser leuchtet blau. Parkplätze gibt es allerdings nicht mehr, ein Getümmel von Menschen wie auf einem Rummelplatz. Wir haben nicht bedacht, dass Samstag ist und die Franzosen sehr gerne ausgehen. Gereizt fahren wir weiter, suchen nach einer Alternative und entscheiden uns für Saint-Suliac am Fluss Rance. Wunderhübsches Städtchen mit Häusern aus Stein und vielen Blumen, bekommt auch Besuch, wird allerdings nicht überschwemmt, wir essen eine Kleinigkeit und schlendern rum. Weiterfahrt zu Agatha und Alfred. Morgen ist Sonntag. Sollte man einmal nichts tun? Um all die Eindrücke zu verarbeiten. Zur Ruhe kommen.

Die Tage hier sind länger hell, Frühstück gibt es erst um 8.30 Uhr, wir sind das nicht gewohnt. Drei-Gänge-Menüs am Abend bringen uns an die Grenzen des Wohlbefindens. Bezahlt wird meistens vorne an der «Réception» und nicht am Tisch. Abends in der Pension wird man gefragt, was man am nächsten Morgen trinken möchte. Warum schon am Abend davor?

Huisnes-sur-Mer und Pleudihen-sur-Rance, Frankreich, 30. Mai bis 4. Juni 2025