Die Römer und ich in Mergozzo

Es fällt mir ein, dass ich, obwohl bereits gestern eingetroffen, noch nichts über Mergozzo berichtet habe. Ständen da nicht italienische Schilder, könnte man sich auch irgendwo im Tessin wähnen. Die Art der Häuser, hauptsächlich Steinhäuser, abbröckelnder Putz, kleine und grosse Kirche, traumhafte Lage am See, natürlich auch ein, zwei Boote und eine Gelateria, nicht vorhandener Bürgersteig vom Bahnhof in den Ort, dann aber eine reizvolle Promenade am Wasser bis zu meiner Unterkunft La Quartina – da haben wir Mergozzo. Unterwegs Schwalben, Kormorane mit ausgebreiteten Flügeln in der Sonne, Enten, eine Wasserschildkröte. Die Terrasse des Hotels bietet die schönste Möglichkeit zu sitzen, etwas zu trinken, zu schauen oder nichts zu tun. Das Feriengefühl hat sich sofort eingestellt. Der Blick kann schweifen: Über den Lago Mergozzo, zu grünen Hügeln und Bergen, zum Dorf in gewisser Entfernung und zurück zu den Blümchen in der Vase auf dem Tisch. Die Kinder auf dem Spielplatz in der Nähe stören nicht. Wie kommt das? Die Gelassenheit ist hier viel ausgeprägter als daheim.

Frühmorgens ist die Stimmung am See zauberhaft. Ein rosa Schimmer überzieht die Wasseroberfläche, Spiegelungen von Bäumen und Hügeln, ja sogar die Häuserfront spiegelt sich pastellfarben im Nass.

Heute, am Sonntag, ist der Ort sehr viel voller mit Besuchern, Wanderern, eleganten und wenig eleganten Promenierenden, sich Sonnenden. Kleiner Stau auf der schmalen Landstrasse, der Verkehr auf der Via Roma, der Hauptstrasse von Mergozzo, wird per Ampel als Einbahnverkehr gesteuert. Dann doch lieber zurück auf die Terrasse des La Quartina. Rabe jagt Kormoran über den See. Ich sitze entspannt und fühle mich wohl. Wandern war ich ja bereits.

Mergozzo – Monte Faiè – Mergozzo, 14,7 km, 4,5 Stunden, 1200 Höhenmeter hoch und runter. Kein Spaziergang! Ich musste achtgeben auf meine Schritte, insbesondere abwärts. Der Saumpfad zur Alpe Vercio ist von fantastischer Bauweise, sehr gut erhalten, Steine, die sich zu einem Weg zusammenfügen, ohne dass sie Treppen wären wie im Tessin, welche doch meistens zu hoch sind, um sie als angenehm zu empfinden. Dann aber: Hoppla, aufgepasst! Der Wanderweg wird zum echten Wanderweg. Hinschauen, den nächsten Schritt überlegen, dann funktioniert es. Traumhaft ist die Aussicht von oben, vom Monte Faiè, über die beiden Seen Mergozzo und Maggiore. Das erste Drittel des Abstiegs ist ein Knöchelbrecher-Weg der übelsten Sorte. Gut, dass es nicht so bleibt und man glücklich und wohlbehalten Mergozzo erreicht. Heute kommt kein Regen, wohl morgen. Vom Frühstücksbuffet hatte ich ein paar Kekse entwendet und mitgenommen, als Notration für unterwegs. Verspeisen musste ich sie nicht.

Etwas möchte ich nicht unerwähnt lassen: Auf der Zugfahrt hierher, nach der Überquerung der Grenze Schweiz – Italien, änderte sich sehr plötzlich das Aussehen der Bahnhöfe. Hoch, schmal, nüchtern, bedrohlich, betongrau links und rechts des haltenden Zuges und jede Menge Abfall entlang der Gleise. Als Fahrgast wäre ich froh, die Haltestelle so schnell wie möglich zu verlassen.

Terrasse La Quartina. Ich habe ein winziges Stück Brot so hingeworfen, dass die kleine grüne Echse es holen könnte. Sie rührt sich jedoch nicht von der Stelle, sie schaut und bewegt nur ihr Köpfchen. Na gut, sie ist kein Spatz. Ich bestaune ihre filigranen Finger an den Füssen, oder sagt man Beinchen bei einer Echse?

Es wird immer stiller, ruhiger, die meisten Tagesbesucher sind verschwunden. In Mergozzo hat man römische Gräber gefunden. Wo die Römer überall waren … oder wo wir überall sind?!

Mergozzo, Italien, 11. Mai 2025