Schlaf im Lavendel

21. August 2024, 11.19 Uhr. Ich werde heute nach Grono fahren und im B&B da Käthy übernachten, um morgen pünktlich zu den anderen Teilnehmern zu stossen. Wanderteilnehmer für das Calancatal, vier Tage, sechs Frauen, ein Wanderleiter. Obwohl es nicht die erste Mehrtageswanderung ist, bin ich ziemlich aufgeregt. Rucksack gepackt, nur ein Wechselset an Kleidung dabei, ich werde ein wenig stinken. Als Reserve Regenjacke, Daunenweste für eventuelle Polarnächte, Turnschuhe für die Hütten. Zwei Wasserflaschen, eine davon wird nie zum Einsatz kommen. Nüsse, viele davon, als Mittagessen, Cola-Powergel für den Notfall. Taschenlampe statt Stirnlampe – ein Übersetzungsfehler von Google aus dem Italienischen ins Deutsche. Ich werde (später) feststellen müssen, dass man mit einer Taschenlampe in der einen Hand kein Geschirr spülen oder abtrocknen kann. Mich als Stehlampe anzubieten, fällt mir nicht ein …

Wir werden zweimal in unbewarteten Alphütten übernachten, einmal im normalen Gasthaus. Selber kochen, Holz- oder Gasofen. Ich merke, dass ich damit eine gewisse Komfortzone verlassen werde. An die SAC-Hütten habe ich mich gewöhnt. Schlafen im Massenschlag, aber bei Ankunft bestellt man sich Kaffee und Kuchen oder Bier und Käse, es gibt Abendessen und Frühstück. Aber jetzt? Wasser aus der Quelle, ein Platz zum Schlafen, Gaslampe. Dagegen scheint mir das Hüttenleben fast luxuriös. Bleiben noch die Fragen: Werde ich so gut wandern wie die anderen? Den schweren Rucksack tragen können? Wie werden die Wege sein? Und vermutlich wird mehr Teamgeist vonnöten sein als bei einer Tageswanderung.

20.15 Uhr. Zurück im B&B da Käthy, im herrlich altmodischen Zimmer. Es gibt ein Schlittenbett, aber auch eine alte, lächelnde Puppe auf dem Sofa, welche heute Nacht hoffentlich brav schläft und mich nicht erschreckt. Das Bettzeug riecht nach Lavendel – oder Mottenpulver. Ich öffne die Flügeltüren zum Balkon; lieber ein wenig Lärm von der Strasse, als ver-lavendelisiert zu werden.

Ich habe gegessen, zu viel gegessen, in der Vecchia Birreria in Grono – noch Graubünden. Der Gruss «Salve» beim Betreten der Terrasse stimmt mich fröhlich, könnte irgendwo in Rom sein. Ich bestelle Minestrone und Pasta aus Ligurien mit Auberginensauce. Ein Glas Rotwein und Wasser. Bilde mir ein, vor-essen zu müssen, bevor es in den Bergen meinen Speckröllchen an den Kragen geht. Die Tische befinden sich unter grossen Platanen. Diese werden von lauten Spatzen bewohnt. Ein Spatz kleckert auf meinen Tisch, aber nicht in die Suppe. Die Suppe löffele ich in Begleitung von Hundegewimmer. Ein verwöhnter, schöner Hund, der sich langweilt und trotz Ermahnungen des Frauchens durchgehend erbärmlich jammert. Bald gehen sie, der Abend ist gerettet. Die Platanen werfen welke Blätter ab, sie sind so gross, dass man damit Adam und Eva bedecken könnte, falls keine Feigenblätter in Sicht sind. In Sicht sind hier eher Palmen.

Der Süden ist nicht mehr fern, es wird italienisch gesprochen, ich schlage mich tapfer durch. Heute nachmittag war der Bus nach Sta. Maria im Calancatal noch von normaler Grösse, jetzt, abends, ist es ein Kleinbus. Der Fahrer hat Zeit, ihn an der Haltestelle stehen zu lassen, herüber zu kommen und einen Espresso zu trinken. Ich nehme kein Dessert, sondern einen Braulio. Morgen muss ich früh los, zu früh für die Hausdame und ihr Frühstücksangebot. Obwohl die Möglichkeit besteht, sich alleine zu bedienen, liebäugele ich mit der Bar Sport, welche um sechs Uhr öffnet. Mehr als einen Kaffee brauche ich nicht.