Der dritte Tag. Alle Wanderer sind weg. Das tägliche Ritual: Die Geissen steigen die Berghänge hinab und werden gemolken. Es wird Käse hergestellt. Streitlust, Dösen im Schatten, bei den Ziegen. Ich habe geduscht, ziehe die getragenen Sachen an, rieche nach Ziege, denn: so manche schubbert sich an mir.
Ich habe im Zelt geschlafen, nur von einem Drahtzaun getrennt von den Tieren. Feines Gebimmel, Geräusch von Wiederkäuen, Niesen, ein Husten. Habe den Eindruck, dass die Tiere nur dösen, nicht schlafen. Bin ein paarmal erwacht und habe beim Rausschauen die immergleiche Ziege auf dem Holzstapel stehen sehen. Ob sie wohl Nachtwache hält?
Ich habe teil am Mittagessen der Angestellten; am grossen Steintisch werden die Reste vom Vortag aufgetragen. Um halb sechs Apéro. Um halb acht Abendessen. Verschwinden im Zelt – also ich.
Es erstaunt mich, wie viel Menschen sprechen können oder müssen. Sie wiederholen lieber, dass sie sich die Zähne geputzt haben, als zu schweigen. Aber ich verstehe das; sie sind wandernd unterwegs, und die Alp ist ein Ort, wo man etwas trinken und essen kann und dann übernachten. Es ist für sie kein Ort zum Innehalten, zum Beobachten, zum Spüren.



Im Maggiatal sind zwei Wölfe unterwegs (ein männlicher, ein weiblicher), welche auch schon Zicklein gerissen haben. Pietro lässt seine Ziegen über Nacht draussen und geht davon aus, dass sie sich in steilem Gelände aufhalten, das für den Wolf nicht so leicht zugänglich ist.
Obwohl Ziegen ein ziemlich robustes Fell haben, wehren sie jede Fliege ab. Sie nehmen sie sofort wahr. Um Schattenplätze wird manchmal gestritten, es entscheidet die Rangordnung, oder doch die Kraft? Gestern wurde sogar ich aus dem Schatten bei der kleinen Kapelle vertrieben. Die Ziege war stärker. Die Kapelle ist begehrt; sie bietet nicht nur Schatten, sondern markiert den Empfangsort. Empfang für Handy oder Laptop.


Alpe Nimi, Gordevio, Tessin, 10. bis 14. August 2024