Tag 5. Ich warte dass es 15 Uhr wird, dann hole ich meinen Koffer und lasse mich nach Vila do Bispo fahren. Ich ziehe um heute, in die Stadt ohne Sehenswürdigkeiten, laut Internet. Die meisten Besucher verbringen hier eine Nacht, auf ihrer Wanderung auf dem Fischerpfad. Ich bleibe sechs Nächte. Ich fürchte mich nun davor.
Heute vormittag in Lagos, beim Entlanglaufen an der Meia Praia, einem Strand von 5 km Länge, wähnte ich mich glücklich, Feriengefühle. Jetzt also, der Augenblick der Ängstlichkeit. Was tue ich hier in Portugal, fünf Wochen? Mittlerweile glaube ich, dass jedem eine bestimmte Region eher zusagt als eine andere. Portugal würde mich nie verlocken können, hier zu wohnen. Die typischen Ferienorte verkaufen sich an die Touristen. Die ärmlicheren Orte oder Cafés sind ärmlich, ohne romantisch oder nostalgisch zu wirken – im Gegensatz zu jenen in Griechenland. Vor zehn Jahren empfand ich Portugal, oder zumindest das, was ich damals gesehen hatte, als attraktiv. Vielleicht haben sich auch nur meine Empfindungen verändert. Hätte ich nicht etliche Wanderungen vor mir, von denen ich mir schöne Eindrücke erhoffe – es täte mir wohl leid, nicht fünf Wochen Kykladen gebucht zu haben.

Noch sitze ich in Lagos, drinnen, hinten in einer Ecke im Taquelim Gonçalves. Ich habe einen Platz zum Schreiben und Warten. Musik, Tellergeklapper, ein wenig Streit beim Personal, die Einheimischen friedlich. Die Eistheke brummt gewaltig, die Kaffeemaschine mahlt Bohnen, auf der Toilette dröhnt der Händetrockner. Es ist so laut, dass es wiederum still ist.
Wenn ich das richtig einschätze, muss ich mir auf den Wanderungen viel Zeit lassen, in einer Bucht baden, spät zurückkehren und dann essen und lesen. Ich darf nicht Amorgos nachtrauern. Ich nehme mir vor, hier zu sein und die Zeit zu geniessen, sicherlich hat auch diese Region etwas zu bieten.
Vila do Bispo. Die Kirchuhr schlägt 18 Uhr, obwohl es noch sieben Minuten bis dahin sind. Ich sitze im Restaurant Convívio, besser gesagt davor, auf einem Stuhl an der Wand, das Glas Rotwein auf dem Boden. Der Ort gefällt mir auf Anhieb. Der Platz heisst Platz der Republik. Autos können das leicht abgerundete Viereck umkreisen. Pflastersteine, der Fahrweg unglaublich bucklig. Unkraut wächst zwischen den Steinen, weniger wo die Autos durchfahren, recht hoch auf dem Bürgersteig. Der Restaurantbesitzer ergreift ein Meerestier, welches im kleinen Park in der Mitte des Platzes in der Sonne zum Trocknen gelegen hat und trägt es in die Küche. Die Küche öffnet um 18.30 Uhr. Bis dahin trinke ich Rotwein und knabbere etwas Brot. Wolkenloser Himmel. Wind, der mich zwingt, ein Jäckchen anzulegen. Wanderer laufen vorbei oder trinken etwas. Welten entfernt von Lagos.
Das Restaurant Convívio ist fantastisch – und sei es nur wegen den Angestellten. Die Hauptköchin ist rundlich, älter und trägt ein Haarnetz. Ihr Oktopus war schlicht, aber sehr gut. Genauso ihr Zimtkuchen. Zu einem englischen Schlager hat sie mitgekrächzt, also gesungen. Der Chef hat mit mir einen schwarz gebrannten Medronho aus den Bergen getrunken. Was soll ich sagen? So in etwa stellt man sich das ländliche Portugal vor. Man wartet eine Stunde auf das Essen. Lohnt sich allemal. Versöhnt bin ich nun.


Vila do Bispo, Portugal, 27. Mai bis 2. Juni 2024