Cabo de São Vicente

Tag 6. Los mit Wanderführerin Ana Carla, von Vila do Bispo nach Cabo de São Vicente. Wunderbar.

Zuerst durch die ländliche Umgebung von Vila do Bispo, hügelig, zum grossen Teil nicht mehr bewirtschaftet. Feldlerchen, Ziegen, Schafe. Ein weisses Pferd inmitten einer braunen Kuhherde. Grosse, schwere, schöne Tiere, friedlich lagernd. Dann beginnt der Weg oberhalb der Küste, auf der Hochebene. Blicke in die Ferne oder auf beeindruckende Buchten. Felsen gelb, weisslich, schwarz, rot. Untergrund sandig, steinig; breit oder schmal der Pfad. Verkrüppelte Kiefern, auf dem Boden kriechender Wacholder, Lavendel, Thymian, Curryblumen, Zistrosen, Iris. Teils zusammengewürfelt, wie ein wunderbar gestalteter Garten. Möwenflug. Flug von Falken. Storchennest weit draussen, auf einer Felsspitze über dem Meer. An manchen Stellen befestigte Seile für die Fischer, die Muscheln sammeln, sich dafür die steilen Hänge runter- und raufhangeln. Lebensgefährlich! Eine Berufung, sagt Ana Carla. Ich frage sie, ob man guten Gewissens diese Muscheln im Restaurant bestellen kann. Ja, auf jeden Fall, ist die Antwort, die Männer tun das nicht des Geldes wegen, nicht allein, sondern aus Leidenschaft. Sie würden es so oder so tun.

Mein Gesicht und meine Arme strahlen Hitze aus und womöglich Licht. Der ganze Tag ist voller Licht, Sonne, blauem Himmel, Wind. Die Augen benötigen die Sonnenbrille, ohne kann man nicht schauen.

Ankunft am Cabo de São Vicente – aufwachen! Ein Reisebus nach dem anderen spuckt Leute aus, Autos parken in Reihen, der Zugang zum Leuchtturm ist nicht mehr öffentlich. Die Besucher haben zehn Minuten Zeit, um ein Selfie zu machen oder ein billiges Souvenir zu kaufen, bevor es weitergeht. Auch Wollpullover werden angeboten, reichlich. Angeblich finden sie im Sommer reissenden Absatz. Denn die lieben Badetouristen kommen halb nackt hierher, um dann festzustellen, dass am Kap ein kalter Wind weht. Der Ort, früher sogar ein Pilgerziel (zu den Knochen des Hl. Vinzenz), hat jede Magie verloren. Ana Carla und ich nehmen den öffentlichen Bus zurück nach Vila do Bispo, gesättigt von der Schönheit unterwegs.

Ob ich morgen hier im Fonte Velha B&B frühstücke? Glaube nicht. Heute früh waren alle zehn Tische belegt, mit Deutschen hauptsächlich. Alle in Wandersachen und verbissen, und alle kannten nur ein Thema: Welchen Weg war man schon gegangen, und welcher folgt. Sogar die Hausdame, eine Deutsche, empfahl zum Einkaufen Lidl und Aldi, obwohl es eine sehr gut sortierte Markthalle gibt, habe sie mir angeschaut. Befremdlich. Wunderlich. Vermutlich weiche ich aus, auf das kleine laute Café am Platz. Bitte nicht schon morgens nur deutsch um mich herum.

Die lila Blüten der artischockenähnlichen Pflanzen, welche weite Flächen überziehen, werden bei der Käseherstellung verwendet, dann darf der Käse einen bestimmten Namen tragen.

Ana Carla wurde gebeten, einen Vortrag über den Tourismus zu halten. Ein Punkt wird sein: Man muss wissen, wann genug ist! Sie beäugt die Zunahme kritisch. Also, dachte ich mir, mit meinen Empfindungen ist alles in Ordnung.

Vila do Bispo, Portugal, 27. Mai bis 2. Juni 2024