Geschlossene Gasthöfe

Durch die Altstadt von Rapperswil spazieren viele Besucher aller Art. Die meisten trinken etwas in den Cafés am Rathausplatz. Die Einheimischen sind woanders, und sie tun gut daran. Das stetige Vorbeilatschen der Touristen hat mich ins Restaurant Jakob getrieben. Es ist 17.20 Uhr und leer, die Musik cool. Hier kann ich schreiben, draussen konnte ich keinen Gedanken zu Papier bringen. Ich bin uncool angezogen, aber was soll’s, ich wandere. Tolle Altstadt, relativ klein, aber fein.

Der Weg von Fischingen hierher hat mir gut gefallen. Die Wanderschuhe noch feucht, die Landschaft dafür abwechslungsreich, hügelig und grün. Durchsetzt mit Dörfchen und einzelnen Höfen. Die Bauernhöfe sind gepflegt, das Haupthaus jeweils blumengeschmückt und romantisch. Die Dörfer oft eine Mischung zwischen verfallenen und renovierten Häusern. Gasthäuser sind oft geschlossen, viele wirken wie schon länger verlassen. Ich habe mich gefragt, wann und warum sich solch ein Gasthaus gelohnt hat. Und heute eben nicht mehr. Stimmt es also doch, dass viele die Kühe lieber verkaufen statt melken und in die Stadt ziehen, in neu erbaute, immer gleich aussehende Häuser.

Der Vorteil des Pilgerweges ist, dass er technisch einfach ist. Dennoch ist er konditionell nicht zu unterschätzen. Ich bin heute – fast ohne Pause – 32 km in 7 h 20 min durchgelaufen. Etwas verrückt, aber machbar. Unterwegs habe ich verstanden, was Hape Kerkeling meint, wenn er sagt, dass ihm die Füsse beim Pilgern wehgetan haben. Mir haben sie heute auch wehgetan. Und der Rucksack war heute schwerer. Und ich kleiner unter seinem Gewicht. Jetzt, wo ich sitze und einen Aperol Spritz trinke, bin ich wieder 1,60 m gross.

Unterwegs gab es viele, sehr schöne, junge Kühe, Ziegen, Schafe, riesige Truthennen und kurz nach Fischingen Himbeeren. Alpakas gab es auch, Füchse allerdings nicht und Greifvögel sehr selten. Katzen im Feld, sie schienen mir allerdings weniger geduldig als jene im Thurgau.

Ich habe mir unterwegs die Frage gestellt, warum und ob ich nächstes Jahr wirklich zwei Wochen auf dem Jakobsweg von Einsiedeln nach Genf unterwegs sein möchte. Was würde mich antreiben? Machen, weil es möglich wäre? In den Dokus sprechen Menschen, die so unterwegs sind, von «sich selbst finden». Ich befürchte, das ist für viele nur ein Spruch geworden. Für mich bleibt das Erleben und Sehen der Schweiz. Ich bin ja bereits jetzt überrascht, dass «die Schweiz» eben nicht nur Graubünden oder das Tessin ist. Das Tessin finde ich südländisch, an Graubünden hängt mein Herz. Also ist es doch spannend, die anderen Landesteile kennenzulernen. Befremdet hat mich der vielerorts anzutreffende Verfall. In Italien würde man das vielleicht romantisch finden, hier ist es ungewohnt. Wo findet man die wahre Schweiz? Ich würde natürlich sagen: hier bei uns, in Graubünden, in den Bergen. Am Bergsee, bei der Alphütte, in Valendas am Dorfbrunnen.

Spaziergang zum Schloss Rapperswil, Rosengarten, Kloster, See. Zurück ins Restaurant. Alle Tische werden eingedeckt. Dabei unterhalten sich die Angestellten über private Sachen. Eine legere Atmosphäre, ein paar Gäste kommen. Ich werde bald die Bestellung aufgeben. Draussen setzt Regen ein. Aber unterwegs war es wunderbar.

20. August 2022, Fischingen – Rapperswil, 32,1 km, 7 h 20 min, 780/980 Hm