Eigentlich sind wir Touristen

Landschaftlich betrachtet die schönste Etappe: von Rapperswil nach Einsiedeln. Lichte Wälder, kühl, mit frischer, feiner Luft und einem Reh. Danach, auf einer Anhöhe, die Kapelle und das Gasthaus St. Meinrad mit Weitblick. Geschwungene Hügellandschaft, grün, mit Blick auf ferne Alpen, der Himmel blau, betupft mit weissen Wolken, ein perfekter Sommertag. Rotmilan, Grillenzirpen, riesige Kreuzspinne beim Weben ihres Netzes, grasende Kühe auf Hügelkuppen, gepflegte Höfe. Der Sihlsee und das Kloster Einsiedeln rücken ins Blickfeld. Wunderbar. Den heutigen Tag hatte ich mit Laufen über den Holzsteg von Rapperswil nach Hurden begonnen. Die Sonne färbte die vorhandenen Wolken rosa, das Licht glitzerte auf dem Zürichsee und die Wasservögel lärmten zu früher Stunde. Jetzt: Einsiedeln, gleich, das Ziel!

Die letzten Meter bringen Ernüchterung. Rechterhand eine Schule, es gibt einen Sportwettbewerb bei sehr lauter Popmusik und lautem Anfeuern durch liebe Eltern. Na gut, weiter auf das Kloster zulaufen … Ach du Schreck: Entlang der Klostermauer Fressbuden. Bratwurst und Eis und Getränke für den erschöpften Besucher, welcher dem Reisebus entstiegen ist. Auf dem Vorplatz des Klosters wird geschaut, gerufen, fotografiert. Das Kloster ist eine touristische Sehenswürdigkeit, für die meisten, vermute ich.

Ich stoppe meine Wander-App – das Ziel ist schliesslich erreicht – und laufe zu einem Hafermilch-Cappuccino und Erdbeertorte. Aber, das Kloster so liegenlassen? Laufe zurück, staune über die Vielfalt an Kitsch mit geistlichem Anstrich, welcher links und rechts vom Vorplatz angeboten wird. Für Kinder, deren Eltern ihnen noch nie etwas von einem Kloster erzählt haben, gibt es sogar eine Sammlung unterschiedlicher kleiner Autos. Das löst Streit aus unter den Kleinen, wer bekommt welche Autos?

Weiter in den Innenhof, eine Runde durch den Klosterladen mit Schnaps, Ikonen, Rosenkränzen und Kreuzen. Keine Chinaware, sondern etwas für den Kenner. Trotzdem: raus und Richtung Bahnhof. Dort sitze ich auf einer Bank, warte auf den Zug und muss feststellen: Hier ist es still.

Nein, nächstes Jahr laufe ich nicht von Einsiedeln nach Genf.

21. August 2022, Rapperswil – Einsiedeln, 16,8 km, 4 h 4 min, 690/210 Hm