Zeichen der Frömmigkeit

Sechs Stunden wandern, sechs Stunden unaufhörlicher Regen. Man hätte sich vielleicht gleich morgens in die Badewanne legen sollen, angezogen, mit Wanderschuhen, um komplett durchnässt loszulaufen. So hat es etwas länger gedauert, bis das Wasser in den Schuhen stand, und bei jedem Schritt schmatzte. Angekommen in Fischingen habe ich sofort geduscht und mir dann einen Rum und Schwarztee gegönnt. Danach ging es mir gut. Ich durfte die Schuhe in den Heizungsraum stellen und hoffe, dass sie bis morgen trocknen.

Das Kloster, zumindest der Hotel-Flügel, scheint mir seiner Substanz entleert. Innen ist die Atmosphäre sehr verdünnt. Tolle Gänge und Räume, jedoch weltlich, der geistliche Atem ist vielleicht noch in der Bibliothek vorhanden, die jedoch ist abgeschlossen. Es fühlt sich tatsächlich wie ein Seminarhotel an, womit es ja auch wirbt. Der Wandernde fühlt sich etwas fehl am Platz, zwischen den Teilnehmern, welche «viel bezahlen» und sich selber Kaffee aus dem Automaten nehmen dürfen. Ich habe das Zimmer «Paulus» bekommen, schönes Zimmer, mit grossen Annehmlichkeiten. Dagegen war das Kämmerchen Schw. Martha im Kloster Appenzell ein Mauseloch, aber eines mit Gewicht.

Der Pilger von heute muss sich schon anstrengen, wenn er ein Stück Himmel unterwegs finden will. Falls in der Vergangenheit der Wunsch nach Sündenvergebung die Leute getrieben hat, nach Santiago de Compostela zum Beispiel, was treibt sie heute? Unsere Welt scheint mir oft so zersiedelt, so laut, dass sich die Frage stellt: Warum nur wollte ich vier Tage auf dem Jakobsweg laufen? Ich war neugierig und bin es auch noch wegen morgen und übermorgen. Ich suche nicht den Ablass – der ist mir bereits zugesprochen –, ich suche das Unterwegssein über mehrere Tage. Spannend, dabei die Landschaften zu durchqueren, die Dörfer, zu sehen, was die Menschen so machen.

Es ist fast nicht mehr erwähnenswert, dass man sich bei grösseren Ortschaften erst durch die Hässlichkeit kämpfen muss. Dann kommen romantisch aussehende Höfe mit Pferden oder Kühen in Sicht. Und erneut unzählige Greifvögel. Ich kann sie nicht unterscheiden, ihnen nur staunend nachblicken. Einer hat mich sehr spät entdeckt. Ich konnte die einzelnen Regentropfen sehen, welche er sich aus den Kopffedern schüttelte, bevor er aufflog. Auch ein Fuchs auf der Wiese hat mich erst wahrgenommen, als ich ihn angesprochen habe. Schnell ist er in ein Maisfeld gelaufen. So nahe war ich noch keinem Fuchs. Bei Regen sieht man offenbar mehr Tiere, sie rechnen damit, dass die Menschen bei schlechtem Wetter eher drinnen bleiben. Drinnen ist es sehr schön, wenn es regnet. Wenn man jedoch sechs Stunden durch den Regen läuft, was im Sommer machbar ist, fühlt man sich danach wie ein Held!

Die Wege durch Wald sind bei solch einem Wetter sehr finster. Der Regen verursacht durch das Aufprallen auf Blätter viel mehr Geräusche, als wenn die Tropfen auf die Wiese fallen. Es ist lauter, aber weniger Wasser erreicht mein Gesicht. Diese Wege bin ich schnell gegangen, so finster alles …

In St. Margarethen TG habe ich kurz in die Kapelle St. Margarethen geschaut, welche laut Wikipedia im 17. und 18. Jahrhundert eine Blüte als Wallfahrtskirchlein erlebt hat. Heute war es im Inneren dunkel, nur schemenhaft war erkennbar, dass sie hübsch ist. In kurzer Entfernung das Restaurant, nein, die Wirtschaft «Frohsinn». Na ja, bei Sonne mag es seinem Namen gerecht werden. Heute bot es immerhin eine Möglichkeit, um 11.30 Uhr einen Kaffee zu trinken. Draussen auf der Terrasse, auf Holzstühlen. Zum Glück Holzstühle – mein Hintern hat eine Wasserpfütze hinterlassen.

19. August 2022, Weinfelden – Fischingen, 27,8 km, 6 h, 460/290 Hm