Wenn man sich von der Idee losmachen kann, in der Gruppe unterwegs selbstreflektierende Gedanken denken zu wollen, dann wird das Wandern mit anderen zum gemeinsamen Erleben. Wollte man, wie Nooteboom, reflektieren – dazu fehlt es dann doch ein wenig an tiefgehender Bildung –, müsste man alleine wie er auf Umwegen nach Santiago reisen.
Also, die Dreitages-Alpenpässewanderung hat grossen Spass gemacht. Sechs Frauen unterwegs. Ohne Hemmungen, auch mal nackt in den Bergsee zu springen. Ich habe den Fotografen gespielt. Nicht so sehr das Nacktsein, sondern der Gedanke an das kalte Wasser hat mich friedlich am Rand sitzen lassen.
Eine Augenweide waren die Wiesen voller Alpenblumen, in einer Fülle, die man als Städter kaum vermuten würde. An den Kragen geht es ihnen ab dem 16. Juli. Bis dahin lässt der Bauer die Wiesen unangetastet, dank der Subventionen und vielleicht mancher aus Überzeugung. Früh morgens um 6 Uhr am 16. Juli habe ich den ersten Mäher gehört.
Der erste Wandertag hat ein wenig Aufregung in die Gruppe gebracht. Nicht allzulange nach dem Start kam uns ein junger Mann entgegen mit der Botschaft, das Cufercal-Wolfsrudel (ich hätte gedacht, es heisst Beverin-Rudel) habe die zweite Mutterkuh innerhalb weniger Tage gerissen. Nun sei genug, und man hoffe auf die Erlaubnis zu schiessen. Wir sollen grossen Abstand zur Herde halten, und nach uns werden alle Wanderwege in der Gegend gesperrt. Man wolle vermeiden, dass Wanderer mit Hund von den beunruhigten Kühen angegriffen werden. Etwas mulmig wurde mir schon … Aber wir waren ja mit Stöcken und Sackmesser bewaffnet, sollte der böse Wolf meinen, auch Frauen angreifen zu können. Also weiter.
Der Aufstieg an diesem Tag hat mich zum Schnaufen gebracht. Mir floss der Schweiss unter dem Hut über das Gesicht, mir war so heiss. Ich begann an meiner Kraft zu zweifeln. Hut runter, durchatmen. Besser. Die Angst vor unzureichender Kondition wegtun. Und siehe da, irgendwann steht man auf dem Pass und blickt runter auf das Ziel, die Cufercalhütte. Gross ist die Vorfreude auf ein kühles Getränk.
Eine kleine Hütte, äusserst liebevoll geführt, feines Essen. Bei untergehender Sonne, eingemummelt in Decken, haben wir draussen noch einen Schnaps getrunken. Im Waschraum gibt es zwei Wasserhähne mit eiskaltem Wasser und zwei Plumpsklos, die WC-Deckel haben Bienen als Griffe. Sehr nett. Ab in den blauen Seidenschlafsack, unter das Duvet und schlafen. Äh, zumindest versuchen zu schlafen. Irgendwann fallen einem die Augen ja doch zu.
Der nächste Morgen brachte um 7 Uhr Frühstück mit Müesli, Konfi und Alpkäse, der später seinen Duft in veränderter Form erneut freigibt. Am zweiten Tag darauf verzichtet. Bei schönstem Wetter losgelaufen. Auf- und Abstiege gut gemeistert. Blauer See in alpiner, grauer Felslandschaft. Leicht plätschernde Bächlein, gesäumt von unzähligen gelben Blümchen. Mittagspause auf einem Vorsprung. Hinlegen, den blauen Himmel mit weissen Wolken anschauen, dösen. Von hier konnte man weit unten die blauen Sonnenschirme vom Turrahus ausmachen. Aber zuerst durch den Höllgraben. Dann der Blick nach links, Richtung Safierberg, traumhaft. Die Knie noch heil beim Erreichen des Berggasthauses, 0,5 l Schorli, bitte. Wenn man zurückschaut, erscheint es wie ein Wunder, dass man von dort oben, wo diese grauen Felswände noch zu sehen sind, in der Lage war abzusteigen, dass es einen Weg gibt. Es wäre doch sehr spannend, hie und da nachlesen zu können, wer, wann das erste Mal diese Route genommen hat.
Es gibt eine Dusche, ein echtes, stinkendes Klo und ein Mehrbettzimmer mit sauberer Bettwäsche. Der Boden knackst bei jedem Schritt, die Holzwände knarzen, der Schlaf kommt spät.
Frühstück um 7 Uhr, letzte Etappe, die einfachste. Endstation Safien. Im «z’ Cafi» warten wir auf den Bus. Ich bleibe draussen im Schatten sitzen und geniesse einen Schoggi-Frappé, sehr lecker. Der Bus kommt, der Zug kommt, ich komme nach Hause. Schön war es.
- 14. Juli 2022: Alp Duman–Lai da Vons–Cufercalhütte, 10,6 km, 3 h 25 Min, 780/340 Hm
- 15. Juli 2022: Cufercalhütte–Farcletta digl Lai Pintg–Farcletta digl Lai Grand–Höllgraben–Turrahus, 12,6 km, 4 h 29 Min, 4600/1170 Hm
- 16. Juli 2022: Turrahus–Thalkirch–Camaner Hütte–Safien Platz, 11 km, 4 h, 400/800 Hm