Der Tag begann mit einer Überraschung. Hinterm Scheibenwischer klemmte ein Zettel mit einem «Gruass aus Landquart, Khur und Razén!» Da hatte mein GR-Nummernschild wohl einige Herzen höher schlagen lassen. Leider hinterliessen die netten Patrioten keinen weiteren Hinweis, so dass ich mich an dieser Stelle herzlich bedanke.
Heute stand also die letzte Etappe meiner Reise an. Tagesziel war die Hafenstadt Seyðisfjörður, wo ich eine Woche zuvor an Land gegangen war. Da wird einem doch bewusst, dass eine Woche für so ein spektakuläres Land viel zu kurz ist. Nachdem ich mich nach den ersten schauerlichen Tagen schon heimlich auf die Färöer zurückgewünscht hatte, möchte ich Island nun am liebsten noch einmal umrunden. Aber der Reiseplan ist unerbittlich, und ausserdem würde man nach einer zwei-, drei- oder vierwöchigen Tour sicher ähnlich denken.
Da die nächste Tankstelle in kritischer Entfernung lag, füllte ich sicherheitshalber noch einmal auf, um eine Zitterpartie wie gestern morgen zu vermeiden.
Kaum hat man die lieblichen Gestade des Mývatn verlassen, gelangt man in eine Einöde, in der stinkende Schwefelpfuhle vor sich hin brodeln. Ein surrealer Anblick, den ich aber aufgrund der ungünstigen Windrichtung nicht lange ertragen konnte.
Nach diesem spontanen Zwischenhalt nahm ich Kurs auf die einzige geplante Besichtigung: den Dettifoss, grösster Wasserfall Europas. Er liegt inmitten einer öden Vulkanlandschaft und ist über eine 20 km lange Schotterstrasse zu erreichen, die gerade saniert wird. Vom Parkplatz aus wanderte ich zuerst zum etwas oberhalb gelegenen, kleinen Selfoss. Danach ging es zum Dettifoss. Sagenhaft die Gewalt, mit der sich die schlammgrauen Wassermassen über die Fallkante wälzen und in die nicht einsehbare Tiefe stürzen! Eine riesige Gischtwolke steigt aus dem Abgrund empor, in der bei strahlendem Sonnenschein ständig ein Regenbogen leuchtete.
Der Dettifoss liegt in einem Nationalpark, der von einigen Wanderwegen durchzogen ist. Eine kleine Runde wollte ich hier auch drehen. Wegen des sehr felsigen und sandigen Geländes kommt man nur langsam voran. Zudem verlor ich gleich zweimal die Wegmarkierungen aus den Augen und musste eine kleine Kletterpartie einlegen. Nicht ganz auf dem offiziellen Weg gelangte ich so wieder auf den Parkplatz und setzte die Fahrt fort.



Die Ringstrasse führt noch eine ganze Weile durch Ödland und biegt dann in ein etwas grüneres Tal ein. Ich war schnell vorangekommen und hatte noch sehr viel Zeit. Darum folgte ich einem Tipp im Reiseführer und machte einen grösseren Abstecher an die nordöstliche Küste zum Borgarfjörður. Dort sollte man Papageitaucher beobachten können. Diese komischen Vögel begegnen einem in Prospekten und Souvenirläden auf Schritt und Tritt (meist unter dem albernen englischen Namen «Puffin») und scheinen für die Färöer und Island recht typisch zu sein. Ein lebendiges Exemplar hatte ich aber noch nicht gesehen, und so versuchte ich es mit diesem Hinweis. Eine hervorragende Schotterpiste führt durch eine nun wunderschöne Landschaft, auch an einer hübschen schwarzen Holzkirche vorbei. Endlich ist noch ein Pass zu überwinden, bevor man die Küste erreicht. Am besagten Vogelfelsen, der vor einem kleinen Fischereihafen liegt, hatten sich bereits zahlreiche Touristen eingefunden, und tatsächlich waren auch Vögel zu sehen. Am Kliff tummelten sich kreischend Möwen, während die niedlichen Papageitaucher still auf dem grünen Plateau hockten und gute Fotomotive abgaben und mit ihren zappeligen Starts und Landungen für Gelächter sorgten.
Nach diesem lohnenswerten Abstecher machte ich mich endgültig auf den Weg zum Zielort des Tages. Es ist erstaunlich, wie sich eine Landschaft bei schönem Wetter verwandeln kann: Vor einer Woche war ich durch eine kalte, trübe Nebelwelt gefahren; heute dagegen führte derselbe Weg durch ein atemberaubendes Hochland mit schneebeckten Gipfeln und tiefblauen Bergseen. Endlich tauchte unten im Tal zwischen grünen Wiesen und blauem Fjord Seyðisfjörður auf. Endstation!
Damit geht die eilige Rundreise auf der Ringstrasse viel zu schnell zu Ende. Nach anfänglichen Schwierigkeiten war es eine wunderschöne Zeit mit vielen Eindrücken, die Lust auf mehr gemacht hat. Island, ich hoffe, wir sehen uns wieder.
Island, 7. bis 14. Juli 2011
Hallo Carsten,
wir haben mit Spannung deinen Island-Bericht gelesen und uns sehr über die vielen Tipps gefreut, die wir sicher gut verwenden können, falls wir tatsächlich im nächsten Jahr nach Island fahren.
Ganz viele liebe Grüße von
Deinen Tante Christel und Onkel Wolfgang