Wer kennt nicht Jules Vernes Roman «Reise zum Mittelpunkt der Erde», an dessen Beginn ein geheimnisvolles Pergament offenbart, dass sich der Einstieg zu dieser Expedition im Krater des Snæfellsjökull befindet? Ich gebe zu, dass diese Abenteuergeschichte auch ein wenig zu dem Entschluss beigetragen hat, einmal nach Island zu reisen. Heute wollte ich nun endlich den Vulkan sehen, der auch ohne Vernes literarischen Beitrag zu den bekanntesten Islands zählt.
Der Snæfellsjökull liegt ganz am Ende einer langgestreckten Halbinsel, was von Reykjavík eine mehrstündige Fahrt bedeutet. Der Weg führt nordwärts an einer Fjordküste entlang; dabei unterquert man den Hvalfjörður in einem mautpflichtigen Tunnel. Die Landschaft ist sehr abwechslungsreich, doch sieht man bald immer mehr Lavafelder. Die meisten sind von zahllosen schwarzen Brocken geprägt, die mit grüngrauen Flechten überwuchert sind.
Auf der erwähnten Halbinsel, Snæfellsnes, fuhr ich zunächst nach Norden in das Küstenstädtchen Stykkishólmur. Vom dortigen Leuchtturm hat man einen schönen Blick über den Ort und die vielen der Küste vorgelagerten Inselchen. Weiter ging es an der Nordküste. Vielleicht sollte ich erwähnen, dass das Wetter wieder sehr schön war. Nur über den Bergen lagen dicke Wolken. Auch der schneebedeckte Gipfel des Snæfellsjökull war hinter Wolken verborgen, und nur ganz kurz konnte ich einen Blick erhaschen. Die Küstenstrasse umrundet gewissermassen den Berg, aber von keiner Seite herrschte freie Sicht. Dafür geriet ich in ein Tieffluggebiet von Seeschwalben – die Strasse ist hier auffällig weiss – und fuhr am höchsten «Bauwerk» Islands vorbei: einem über 400 Meter hohen Sendemast. An der Steilküste am pechschwarzen Strand im Südwesten steht ein schöner Leuchtturm und kurz dahinter erheben sich zwei kuriose Felstürme aus dem Lavafeld.
Am Nachmittag hatte ich mein Etappenziel Hellnar erreicht. Ich plauderte ein wenig mit dem Hotelwirt, der als Isländer akzentfrei deutsch sprach. Er empfahl eine Wanderung entlang der Steilküste zum Nachbarort. Bei herrlichem Sonnenwetter – nur am Berg türmten sich die Wolken – wanderte ich zwischen Lavabrocken umher und warf ein paar Blicke über die Uferkante auf die Felsen, vor denen die Seevögel ein ohrenbetäubendes Geschrei veranstalteten. Genauso eifrig zeigten sich die vielen Vogelfreunde, die mit riesigen Objektiven aufgeregt jeder Möwe hinterherrannten. Ein sehr schöner Weg, doch sollte man an der Küste bleiben und sich nicht auf die Strasse begeben. Dort herrschte nämlich wieder akuter «Tiefflugalarm». Mangels Ausrüstung konnte ich den für solche Situationen empfohlenen Stock-Hut-Trick nicht anwenden, und so fühlte ich mich für einige hundert Meter in einen Thriller von Alfred Hitchcock versetzt.
Im Hotel gab es dann noch ein royales Abendmenü. Da ich nach Meinung des Wirtes zwischen den Gängen zu lange hatte warten müssen – es waren auch zwei Busladungen deutsche Touristen zu verköstigen – offerierte er ein Gratisdessert. Da ich aber kurz vorm Platzen war, bat ich alternativ um eine Verkostung isländischer Schnäpse. Die kleine, interessante Auswahl umfasste Geschmacksrichtungen zwischen kümmelig und lakritzig. Am besten gefiel mir ein Kräuterlikör, der nach Halsschmerzen schmeckte und im Abgang ein Taubheitsgefühl in der Mundhöhle hinterliess. Gute Nacht!
Island, 7. bis 14. Juli 2011