Zum Aufenthalt in einem Nationalpark gehört natürlich auch eine Wanderung. Ich hatte mir im Vorfeld die zehnstündige Route ins Morsádalur ausgesucht, ein breites, grösstenteils trockenes Flussbett, von wo aus man einen schönen Blick auf die Gletscherzunge haben soll.
Um 5 Uhr wachte ich auf. Es war schon (oder immer noch) heller Tag, ekelhaft nasskalte Luft zog ins Zelt, und an Schlaf war somit nicht mehr zu denken. So schnappte ich meine bereitgelegte Ausrüstung und marschierte los. Immerhin regnete es gerade einmal nicht. Nach dem gestrigen «Gletscherlehrpfad» war der weitere Abend äusserst frustrierend verlaufen, da jede Aktivität im Freien verunmöglicht wurde. Vielleicht sollte es ja heute besser werden? Kurz las ich am Besucherzentrum die Vorhersage: 8 °C, Nieselregen …
An hübschen Wasserfällen vorbei, die bei dem trüben Wetter leider etwas farblos wirkten, führte der Wanderweg stetig bergauf in eine Art Heidelandschaft. Je weiter nach oben ich kam, desto nebliger wurde es. An einem Aussichtspunkt ist eine metallene Kompasskarte aufgestellt, auf der man sieht, was man sehen würde, wenn man etwas sehen könnte. Das war heute nicht viel. Nur der Weg war gut zu erkennen und regelmässig mit kleinen Holzpflöcken markiert. Nachdem ich ein dichtes Birkenwäldchen durchquert hatte, führte der nun sehr felsige Pfad abwärts, und nach gut drei Stunden stand ich in dem sicher zwei Kilometer breiten Tal. Möchte man in Richtung des Gletschers weitergehen, muss man ab hier die Wegmarkierung ignorieren. Diesen Umstand erkannte ich leider zu spät, nachdem ich arglos den Pflöcken gefolgt und dadurch ziemlich vom Kurs abgekommen war. Dieser Irrweg kostete mich über eine Stunde Zeit.
Während so einer einsamen Wanderung – ich war in den bisherigen Stunden keinem einzigen Menschen begegnet – gehen einem viele Gedanken durch den Kopf. Angesichts der Wettersituation stellte sich die Frage, ob ich nicht meine Zelte abbrechen und weiterfahren sollte, in der Hoffnung auf eine komfortablere Übernachtungsmöglichkeit anderswo. Ich beschloss die Zeit so einzuteilen, dass ich gegen 14 Uhr zurück sein würde, um dann je nach Wetterlage zu entscheiden. So bliebe im Fall einer Weiterreise auch noch genügend Zeit, auf der Ringstrasse Richtung Westen nach Alternativen zu suchen.
Das brachte mit sich, dass ich mein Tagesziel nicht ganz erreichte, sondern vorzeitig umkehrte. Ich tröstete mich damit, dass es bei dem Wetter sowieso nicht viel zu sehen gegeben hätte. Bei wieder einsetzendem Regen traf ich auf dem Zeltplatz ein und staunte nicht schlecht, als ich sah, dass in meinem Quadranten ganze zwei Zelte zurückgeblieben waren. Alle anderen hatten also bereits die Flucht ergriffen, und das tat ich nun auch.
Auf der Ringstrasse versuchte ich ein paar Sehenswürdigkeiten abzuklappern. Leider lagen viele Naturschönheiten in den Regenwolken verborgen. So auch der zungenbrecherische Gletschervulkan Eyjafjallajökull, der im vorigen Jahr, mehr oder weniger falsch ausgesprochen, in aller Munde war.
Langsam hielt ich auch nach einer Unterkunft Ausschau. Vielleicht hätte ich damit früher anfangen sollen, denn bei jedem Versuch hiess es: «Alles voll». Was nun? Ich blickte noch einmal auf die Karte und auf die Uhr und stellte fest, dass ich es eigentlich noch bequem bis Reykjavík schaffen könnte. Dort hatte ich zwar erst für morgen abend ein Zimmer gebucht, aber ein kurzer Anruf ergab, dass ich durchaus schon heute anreisen könne. Rund 100 km vor Reykjavík bekam ich dann eine Ahnung, warum alle Gasthäuser entlang der Route ausgebucht waren: Aus der Hauptstadt wälzte sich eine immer dichter werdende Autokarawane in Richtung Osten. Eine ganze Stadt auf dem Weg ins Wochenende!
Endlich im Hotel angekommen, war eine frustrierte Flucht vor Regen und Kälte glücklich zu Ende gegangen. Denn in Reykjavík war schönes Wetter!
Island, 7. bis 14. Juli 2011
Lieber Carsten!
Mit großer Aufmerksamkeit verfolgen wir hier Deine Reiseberichte über Island.
Vielen Dank auch für die Karte!
Dir alles Gute.
Viele liebe Grüße
Jürgen und Ute
Lieber Carsten,
da staunst du?! Auch wir verfolgen deine Reiseroute durch Island und finden es sehr interessant! Schade, dass du so schlechtes Wetter hast!
Wir wünschen dir, dass das Wetter ab jetzt schöner wird!!!!!
Wir freuen uns schon auf den nächsten Bericht!